In den wilden, sumpfigen Wäldern des Congaree-Nationalparks in South Carolina wurde das Verschwinden einer jungen Wissenschaftlerin zu einem gruseligen Rätsel – eines, das fünf Jahre lang nicht gelöst werden konnte, und auch dann nur teilweise, auf unvorstellbare Weise. Der Fall von Lauren Mills, der Doktorandin, die auf einer routinemäßigen Forschungswanderung verschwand, ist heute unter Kriminologen und Einheimischen gleichermaßen eine Legende: Das Mädchen wurde in einem riesigen Wels gefunden.
Ein vielversprechendes Leben unterbrochen
Am 17. Juli 2004 verließ die 26-jährige Lauren Mills ihre Wohnung in Charleston, um einen Tagesausflug in den etwa 160 Kilometer nordwestlich gelegenen Congaree-Nationalpark zu unternehmen. Lauren studierte Biologie am College of Charleston und hatte sich auf Auenwaldökosysteme spezialisiert. Sie plante, den Weston Lake Loop Trail zu wandern, Pflanzenproben zu sammeln, Fotos für ihre Dissertation zu machen und bei Einbruch der Dunkelheit wieder nach Hause zu kommen.
Lauren war gut vorbereitet: Wanderschuhe, dicke Hosen, eine knallrote Windjacke, ein Liter Wasser, Energieriegel, eine Kamera und ein Notizbuch. Ihr Handy ließ sie zu Hause, da sie wusste, dass der Empfang im Park schlecht war. Ihre Mitbewohnerin Jessica Riley erinnerte sich an Laurens detaillierten Plan und ihre gute Laune.
Um 9:15 Uhr bemerkte ein Parkranger Laurens blauen Honda Civic auf dem Parkplatz des Besucherzentrums. Er stand ordentlich, nichts Verdächtiges. Der Tag war heiß und schwül, für den Nachmittag waren Gewitter vorhergesagt. Congarees Gelände ist nach Regen unerbittlich – überflutete Wege, dichtes Unterholz und Wildtiere wie Alligatoren und Giftschlangen.
Lauren Mills war erfahren und vorsichtig. Doch sie wurde nie wieder lebend gesehen.
Die Suche, die nirgendwohin führte
Lauren wurde gegen 20 oder 21 Uhr zu Hause erwartet. Als sie nicht zurückkehrte, machte sich Jessica Riley Sorgen. Um Mitternacht rief sie die Polizei. Um 3 Uhr morgens fanden Beamte des Richland County Laurens verschlossenes Auto auf dem Parkplatz des Besucherzentrums. Keine Anzeichen eines Kampfes, nur eine Karte auf dem Beifahrersitz.
Im Morgengrauen war eine großangelegte Suchaktion im Gange. Parkranger, Bezirksbeamte und Notfallteams durchkämmten den Weston Lake Loop und die umliegenden Wälder. Die Folgen des Sturms vom Vortag machten eine Verfolgung nahezu unmöglich – schlammiger, rutschiger Boden, weggeschwemmte Spuren und dichtes Laubwerk erschwerten die Sicht. Hundestaffeln wurden eingesetzt, doch der Geruch von Wildtieren und der hohe Wasserstand verhinderten ihre Suche. Wasserteams suchten den Congaree River und den Cedar Creek ab und untersuchten Baumstämme und dichte Vegetation. Hubschrauber suchten das Blätterdach der Wälder ab.
Nach tagelanger Suche gab es keine Hinweise. Keine Kleidung, keine Ausrüstung, kein Beweis, dass Lauren die Spur verlassen hatte. Es war, als wäre sie spurlos verschwunden.
Von der Suche zum ungelösten Fall
Eine Woche nach Laurens Verschwinden wurde die Suche abgebrochen. Der Fall wurde von der Rettung zur strafrechtlichen Untersuchung unter der Leitung von Detective Robert Peterson. Jedes Szenario wurde in Betracht gezogen: ein Unfall, ein Tierangriff, Ertrinken oder ein Verbrechen. Doch alle standen vor dem gleichen Widerspruch: keine Beweise.
Laurens Privatleben wurde genau unter die Lupe genommen. Freunde, Familie und Kollegen beschrieben sie als verantwortungsbewusst und konfliktscheu. Keine Feinde, keine verdächtigen Beziehungen, keine finanziellen Probleme. Ihre Bankkonten und persönlichen Gegenstände zeigten nichts Ungewöhnliches.
Da es keine neuen Hinweise gab, engagierte die Familie Mills einen Privatdetektiv und organisierte freiwillige Suchaktionen. Nichts kam ans Licht. Das öffentliche Interesse schwand. Im Dezember 2004 wurde der Fall als ungelöst eingestuft – ein ungelöster Fall, archiviert und fast vergessen.
Das grausame Geheimnis des Flusses
Fünf Jahre vergingen. Jedes Jahr im Juli veröffentlichte Laurens Familie Aufrufe in den Lokalzeitungen, in der Hoffnung auf Antworten. Doch keine kam. Der Fall verstaubte in den Archiven des Sheriffs.
Am 12. August 2009 brach Douglas Harris, ein pensionierter Fischer aus dem nahegelegenen Gadston, auf dem Congaree River auf. Er war auf der Suche nach Welsen und hatte am späten Nachmittag ein Monster am Haken – fast anderthalb Meter lang und 50 Kilogramm schwer. Es war der Fang seines Lebens.
Wieder zu Hause begannen Douglas und seine Frau Mary, den Fisch zu säubern. Als Mary den Wels ausnahm, fand sie etwas Seltsames: ein Stück leuchtend roten Stoff, dann dunkelblaues Material wie ein Rucksack und schließlich – erschreckend – einen menschlichen Knochen. Sie fanden ein Stück einer Gummistiefelsohle und einen Schlüsselbund, einer davon eindeutig ein Honda-Autoschlüssel.
Douglas rief sofort das Büro des Sheriffs an. Die Beamten trafen ein, bestätigten die Überreste und beschlagnahmten den Fisch als Beweismittel. Die Gegenstände entsprachen der Beschreibung aus Lauren Mills’ Vermisstenanzeige.
Forensik und unbeantwortete Fragen
Im Büro des Gerichtsmediziners von Richland County untersuchte Dr. Alistister Finch die grausigen Beweise. Der Magen des Welses enthielt einen menschlichen Oberschenkelknochen, drei Wirbel, einen Teil eines Beckens, zwei Rippen, roten und blauen Kunststoff, eine Gummistiefelsohle und drei Schlüssel – darunter einen Honda-Zündschlüssel.
Die Knochen gehörten einer Frau im Alter von 25 bis 30 Jahren und passten zu Laurens Profil. Eine DNA-Analyse bestätigte die Identität mit 99,9-prozentiger Sicherheit. Lauren Mills wurde offiziell für tot erklärt.
Doch das forensische Team fand etwas Beunruhigendes: Eine Rippe wies einen teilweise verheilten Bruch auf, der auf einen gezielten Schlag mit einem stumpfen Gegenstand hindeutete – nicht auf einen Sturz. Dies warf Zweifel an der Unfalltheorie auf und ließ die Vermutung aufkommen, dass es sich um ein Verbrechen handelte.
Experten vermuteten, dass Laurens Leiche nach ihrem Tod im Fluss landete, wo sie langsam verweste. Der riesige Wels, ein Aasfresser, fraß die Überreste – Knochen, Kleidung und persönliche Gegenstände –, was erklärt, warum nur Fragmente geborgen wurden.
Die Untersuchung wurde wieder aufgenommen
Die schockierende Entdeckung machte landesweit Schlagzeilen – „Das Mädchen im Wels“. Das Sheriffbüro von Richland County nahm die Ermittlungen wieder auf und übertrug sie erneut Detective Peterson, dem heutigen Leiter der Cold-Case-Einheit.
Peterson und sein Team befragten alle wichtigen Zeugen erneut – Jessica Riley, Laurens Familie, Freunde und Kollegen. Die Erinnerungen waren verblasst, und es kamen keine neuen Informationen ans Licht.
Zwei Theorien dominierten. Die erste: ein tragischer Unfall. Lauren rutschte in der Nähe des Wassers aus, schlug mit der Brust an einem Stein oder Baumstumpf an, brach sich eine Rippe, fiel hinein und ertrank. Der Fluss verbarg ihren Körper, bis der Wels ihn verschluckte.
Der zweite Fall: Mord. Lauren begegnete einem Unbekannten, wurde in die Brust getroffen und ihre Leiche in den Fluss geworfen, um das Verbrechen zu vertuschen. Doch es gab keine Verdächtigen, kein Motiv, keine Hinweise auf Konflikte in ihrem Leben.
Petersons Team analysierte den Weg topographisch und identifizierte Unfallstellen sowie abgelegene Gebiete, die sich ideal für einen Anschlag eignen. Beide Theorien blieben plausibel. Die Analysten suchten nach Verbindungen zu anderen Verbrechen in der Region. Keine wurden gefunden.
Ein letzter öffentlicher Aufruf brachte Hinweise, aber nichts Brauchbares. Anfang 2010 gerieten die Ermittlungen in eine Sackgasse. Die Gerichtsmedizin stellte eine Sterbeurkunde aus: wahrscheinlich Ertrinken, „Tod unter ungeklärten Umständen“. Die gebrochene Rippe wurde zwar vermerkt, reichte aber nicht aus, um Mord zu beweisen.
Laurens Familie ließ ihre sterblichen Überreste einäschern und hielt eine private Gedenkfeier ab. Über ihren Anwalt dankten sie den Behörden, wiesen jedoch die Unfalltheorie zurück, da sie davon überzeugt waren, dass Lauren Opfer von Gewalt geworden war. Ihr öffentliches Engagement endete und sie blieben mit ihrer Trauer und unbeantworteten Fragen allein.
Vermächtnis und ungelöstes Rätsel
Der Fall hatte nachhaltige Auswirkungen auf den Congaree-Nationalpark. Der Nationalparkdienst verstärkte die Ranger-Patrouillen, veröffentlichte neue Sicherheitswarnungen und verbot nächtliche Bootsfahrten auf dem Fluss. Laurens Geschichte wurde zur lokalen Folklore – eine Warnung vor den Gefahren, die in den Sümpfen lauern, und den Geheimnissen, die Flüsse bergen können.
Für Kriminologen ist der Fall ein Paradebeispiel dafür, wie Zeit und Umwelt Beweise vernichten können. Selbst die Entdeckung der Überreste brachte keinen Abschluss. Der Fall Lauren Mills wird heute in Polizeiakademien als „perfekte Sackgasse“ bezeichnet – selbst die aus der Vergessenheit zurückgekehrte Wahrheit kann nicht vollständig ans Licht gebracht werden.
Douglas Harris, der Fischer, der das Rätsel unabsichtlich gelöst hatte, zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Detective Peterson ging in den Ruhestand und bezeichnete den Fall als einen der unbefriedigendsten seiner Karriere.
Zehn Jahre nach Wiederaufnahme der Ermittlungen und mehr als zwanzig Jahre nach Laurens Verschwinden bleibt die Hauptfrage unbeantwortet: Tragischer Unfall oder kaltblütiger Mord? Sämtliche Beweise wurden gesammelt, sämtliche Tests durchgeführt. Doch es gibt keine endgültige Wahrheit – nur zwei unvereinbare Geschichten.
Der Fluss gab Lauren ihren Namen und ein Grab zurück, bewahrte aber das Geheimnis ihrer letzten Momente. Was an diesem heißen Julitag geschah, bleibt in den schlammigen Gewässern von Congaree verloren, eine Geschichte, die aus der Tiefe zurückgeholt wurde, aber für immer unvollendet blieb.